Dr.Werner Schmidt - Christiane Le Blanc-Schmidt
Dr.Werner Schmidt - Christiane Le Blanc-Schmidt
Ankündigung des Zahnarztes Wolff aus Hannover im "Anzeigenblatt für die Stadt Gießen" vom 9.10.1824

Kurze Abhandlung über die Entwicklung der zahnärztlichen Versorgung in Gießen

Bis in das 19.Jh. hinein gehörte neben Haarschneiden und Schröpfen auch Zahnziehen zwangsläufig zur Tätigkeit eines Barbiers, Chirurgen oder Wundarztes. Sie gehörtem dem Handwerkerstand an und waren in Zünften organisiert. So regelt der „Zunftbrief vor die Barbierer zu Gießen und in dem Oberfürstenthum de anno 1771“ die Tätigkeit und Ausbildung. Nach einer 3jährigen Lehrzeit bei einem Wundarzt und einer 3jährigen Wanderzeit konnten sie sich bei der Medizinischen Fakultät in Gießen zum Examen melden. Die Möglichkeit der Niederlassung in Gießen war allerdings beschränkt: „Und damit die Chirurgi zu Gießen ihr desto besseres Auskommen haben mögen, so soll deren Anzahl sich nicht über Sechs erstrecken,...“

 

Neben den seßhaften Zahnreißern gab es noch reisende Quacksalber, Zahnbrecher, Zahnkünstlern, die auf Märkten und Volksfesten erschienen und marktschreierisch ihre Dienste anboten. So ist das Auftreten des „Doktor“ Eisenbarth im Jahre 1704 in Wetzlar belegt.

 

Da sich in Gießen bis zum Jahre 1861 kein approbierter Zahnarzt niederließ, waren die Gießener bei der zahnärztlichen Versorgung auf die ortsansäßigen Barbiere und durchreisende Behandler angewiesen. Letztere annoncierten ihre Ankunft und boten ihre Dienste der Bevölkerung für ein oder zwei Tage in irgendeiner Gaststätte an.

Mit „Wundermitteln“ versuchte man möglichst der Zahnbehandlung zu entgehen, die auch über die Zeitung angeboten wurden. So ist in der „Giessischen wöchentlich=gemeinnützigen Anzeigen“ vom Jahre 1769 zu lesen.

„.... Folglich muß man bey heftigen Zahnschmerzen nur, wenn man mit dem Angesicht gegen Norden gerichtet ist, mit dem schmerzhaften Zähnen auf den Nordpol des Magneten derbe zubeissen und solange mit diesem Biß anhalten, bis die Schmerzen vergangen sind.“

 

Wie man dem „Anzeigenblatt für die Stadt und den Kreis Gießen“ vom 19.1.1861 entnehmen kann, hat sich damals Georg Wilhelm Koch als erster approbierter Zahnarzt in Gießen (Seltersweg 19) niedergelassen. Gießen hatte zu dieser Zeit ca. 9000 Einwohner. Eigenartigerweise bot dieser Zahnarzt seine Dienste auch in Marburg an.

Das Adreßbuch der Stadt Gießen von 1886 (ca. 20000 Einwohner) nennt neben Zahnarzt Koch noch zwei Zahntechniker, Julius Kohlermann, Marktplatz 6 und Christian Frutig, Asterweg 5. Als Berufsbezeichnung Frutigs werden in diesem Adreßbuch „Heilgehilfe, Zahntechniker und Barbier“ angegeben.

 

In den folgenden Jahren steigt die Zahl der Zahnbehandler weiter an - 1891: 4 Behandler, 1893: 4 Behandler, 1895: 8 Behandler (ca. 23000 Einwohner), 1897: 9 Behandler, 1902: 10 Behandler, 1909: 7 Zahnärzte und 4 Zahntechniker(ca. 31000 Einwohner), 1920: 10 Zahnärzte und 5 Dentisten(ca. 33500 Einwohner), 1933: 15 Zahnärzte und 18 Dentisten.

 

Ab 1880 entwickelte sich aus dem Berufsstand der Barbiere und Zahntechniker die Gruppe der Dentisten als zweiter Stand an Zahnbehandlern neben den Zahnärzten. Die Ausbildung zum Dentisten erfolgte auf handwerklicher Grundlage. Einer 3jährigen folgte eine mindest 1jährige selbständige prothetische Tätigkeit bei einem Dentisten. Eine 2jährige Schulung an einem dentistischen Institut vervollständigte die Ausbildung. Durch die staatliche Anerkennung der Dentisten 1920 wird die Zeit der „Bader und Zahnkünstler“ endgültig beendet. Mit dem Gesetz über die Ausübung der Zahnheilkunde werden 1952 die Dentisten nach einer Zusatzausbildung in den Stand der Zahnärzte übernommen und damit ist auch die Ära der Dentisten vergangen.

 

Anzeige des ersten in Gießen niedergelassenen Zahnarztes Georg Wilhelm Koch vom 16.1.1861
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